#17 Abschied aus Eisebahn Straße

Epilog von Makoto Okajima

KOKO ist ein Newsletter-Projekt, das versucht die aktuelle Dynamik im Leipziger Osten durch Lebensgeschichten, persönliche Erinnerungen und Emotionen von Bewohnern zu dokumentieren.

Schauplatz ist die Eisenbahnstraße in Leipzig, die einst von den Medien als „die gefährlichste Straße Deutschlands“ betitelt wurde. In den letzten 15 Jahren hat sich die Straße durch den Zuzug junger Menschen und Migrant:innen wegen der günstigen Mieten in eine lebendige Gegend verwandelt. Gleichzeitig sieht sie sich jedoch mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert, wie Alkohol- und Drogenproblemen. In den letzten zwei Jahren setzte auch hier die Gentrifizierung spürbar ein. Steigende Mieten verdrängen einkommensschwache Bewohner:innen, soziokulturelle Projekte und Künstler.

In dieser letzten Ausgabe präsentiert Makoto Okajima, Kuratorin und Redakteurin von „KOKO“, ein Nachwort.

Bücher zum Beispiel bedeuteten nicht nur „Druckerzeugnisse". Die Stadt selbst war ein offenes, großes Buch, und darin existierte unendlich viel Raum zum Beschreiben.

Einst schrieb ich „Wirf die Bücher weg und geh auf die Straße", aber das müsste umgeschrieben werden in: „Wirf die Druckerzeugnisse weg und geh hinaus, um ein anderes Buch namens Stadt zu lesen."

Shūji Terayama, „Shūji Terayama Zitate-Sammlung", PARCO-Verlag, 2003

Für mich, die ich 2021 nach Leipzig gezogen bin, war diese Stadt genau der aufregende Ort, den die zuvor zitierten Worte von Shūji Terayama beschreiben. Nach dem Fall der Berliner Mauer erlebte diese Stadt einen extremen Bevölkerungsschwund und war voller leerstehender Gebäude. Aus allen Richtungen strömten Künstler, junge Menschen und Ausländer hierher.

Die Eisenbahnstraße, Schauplatz von „KOKO", hatte insbesondere einen Charakter, der chaotisch und voller Probleme war, aber gleichzeitig energiegeladen, humorvoll und irgendwie liebenswert.

Das Newsletter-Projekt „KOKO” entstand im Rahmen meines Abschlussprojekts, als ich von 2022 bis 2024 im Masterprogramm „Kulturen des Kuratorischen” an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig studierte. Es erschien mir als natürlicher Verlauf, dass ich diesen Ort als Thema meines Projekts wählte, da ich in dieser Stadt lebte und von der Eisenbahnstraße angezogen wurde.

Leipzig blickt auf eine lange Geschichte als Druck- und Verlagsstadt zurück, die bis vor dem Zweiten Weltkrieg florierte. Obwohl die Branche durch Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg und die Verstaatlichung durch die DDR-Regierung während des Kalten Krieges verfiel, lebt die Druckkultur in dieser Stadt durch das Druckkunstmuseum, die Kunsthochschule und Künstlerkollektive noch heute weiter.

Seit 2017 betreibe auch ich das Verlags- und Redaktionslabel SEA SONS PRESS. Ich hegte den heimlichen Ehrgeiz, eine Dokumentation über diese Stadt in Druckform zu veröffentlichen. Ursprünglich wollte ich mit meiner Risograph-Druckmaschine zu Hause selbst drucken, binden und veröffentlichen.

Doch zur gleichen Zeit erlebte ich Schwangerschaft und Geburt. Ich dachte, ich würde mit dem Drucken beginnen, sobald die Geburt überstanden wäre. Aber als es soweit war, stellte ich fest, dass es unmöglich war, mit einem Säugling im Arm das ganze Zimmer voller Papier auszubreiten und den Risographen laufen zu lassen.

Nach reiflicher Überlegung beschloss ich, KOKO in Form eines Newsletters neu zu gestalten. Das ist das Ergebnis meiner Suche nach einer Form, die ich in meiner jetzigen Situation umsetzen konnte.

Ursprünglich war das Design relativ simpel: Zweifarbendruck per Risograph, mit dem Aufwand des heimischen Druckens im Hinterkopf. Die Zeitschrift war hauptsächlich mit Illustrationen statt Fotos gestaltet. Als ich jedoch den Kurs in Richtung Newsletter änderte, ließ ich Sawaki Boji die Stadt mit einer Filmkamera neu fotografieren. Dadurch können, wie ich hoffe, auch Leser, die diese Stadt und ihre Menschen überhaupt nicht kennen, ein wenig die Atmosphäre der Eisenbahnstraße erleben.

Als ich im Mai dieses Jahres vorübergehend nach Japan zurückkehrte, durfte ich im Raum „Kyōdō Shoko" in Kyoto bei einer von einem Freund Maiami-san organisierten Veranstaltung namens „The Sea Around Us" über KOKO sprechen. Am Ende des Gesprächs las Maiami-san mit großer Leidenschaft den Artikel von Karam (#12) vor.

Auch bei Radio Blau, einem freien Radio in Leipzig, wurde ein Interview über KOKO ausgestrahlt. Zwischen den Interviewpassagen las der Radio-DJ Hilmar viele Artikel aus KOKO vor. In beiden Fällen spürte ich, wie KOKO über den Newsletter hinauswuchs und neues Leben eingehaucht bekam.

Derzeit entwickeln wir außerdem in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Tokyo eine Kolumnenreihe namens „Made in DDR" auf Instagram. Anlässlich des 35. Wiedervereinigungsjubiläums erkunden wir durch Gegenstände, die den in Leipzig lebenden Menschen wichtig sind, ihre Erinnerungen und ihren Alltag in der DDR, die bis heute fortleben. Wir würden uns freuen, wenn ihr euch auch diese Geschichte ansehen würdet, die in anderer Form als KOKO entsteht, aber dennoch ein weiterer Teil davon ist.

Die Menschen, die uns Interviews gegeben haben, waren für dieses Projekt natürlich unverzichtbar. Als ich ihnen von der Änderung des Newsletters erzählte, willigten sie mit herzlichen Worten in die Veröffentlichung ein. Während wir ihre wertvollen Geschichten erhielten, wurden sie für uns nicht nur Interviewpartner, sondern unersetzliche Freunde. Ich möchte allen danken, die mitgewirkt haben.

Dies ist das letzte Mal, dass wir Geschichten aus der Eisenbahnstraße erzählen. Wenn wir jedoch wieder auf Orte und Menschen treffen, die wir für die Zukunft bewahren möchten, wird „KOKO” vielleicht erneut in Bewegung kommen. Wir freuen uns darauf, euch dann wiederzusehen!

SEA SONS PRESS
Makoto Okajima

KOKO

Herausgeber : SEA SONS PRESS
Kuratieren und Editieren : Makoto Okajima
Illustration und Comic : Asuka Okajima
Foto : Sobamichi Sawaki
Deutsches Lektorat : Jens Hendrysiak

Herzlichen Dank an :

Martin, Karel, G, Mayuko, Tobias, Bruno, Gabriella, Alisa, Karim, Goro, Karam, Melisa, Nora, Anja, Marisa, Gisela, Jens, Keiko, Miho, Kei, Masaru, Participants and Professors of Master Course of “Cultures of the Curatorial” at the Academy of Fine Arts Leipzig, Miami-san, Kyodo Shoko, Fabian, Hilmar, Radio Blau, Anji, Asuka, und DICH.

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