- KOKO
- Posts
- KOKO#6 Aussteiger und Yoga
KOKO#6 Aussteiger und Yoga
Interview mit Bruno

#6 Aussteiger und Yoga
Interview mit Bruno

Einst als "gefährlichste Straße Deutschlands" bezeichnet, hat sich die Eisenbahnstraße in Leipzig zu einer lebendigen Straße entwickelt. Während sich die Stadt rasant verändert, gibt es Menschen, die in ihrem eigenen Tempo und mit einer gewissen Gelassenheit ihren Weg gehen.

Die sechste Folge erzählt die Geschichte des französischen Musikers Bruno, der sich für ein freies Leben entschieden hat. „Freiheit“ bedeutete für ihn, auch auf soziale Absicherung zu verzichten und die volle Verantwortung für sein Leben zu übernehmen. Seine persönliche „Krankenversicherung“ war tägliches Yoga.
“Ich bin ein Anarchist, aber ich respektiere die Regeln und setze mich nicht über das Verbotene hinweg. Aber andererseits, warum sollte ich respektieren, was nicht verboten ist? Es ist absurd, etwas nicht zu tun, weil man zu viel Angst oder Furcht vor sich selbst hat.”
Bruno lebt in der Eisenbahnstraße und versucht einen freien Lebensstil zu führen. Er kommt ursprünglich aus der Bretagne, wo er seine Jugend verbrachte, mit Freunden Kunstraum zu schaffen, Partys zu schmeißen und Festivals zu organisieren.
Er sagt: "An der Uni habe ich Deutsch und Englisch studiert, aber ich war auch Künstler und Musiker. Die Stadt stellte uns ein kostenloses Gebäude zur Verfügung, und wir hatten einen Atelier und Musikstudio. Nach 17 Jahren hatte ich das Gefühl, alles getan zu haben, und so zog ich 2005 nach Berlin."
Bruno hat sieben Jahre einen Kunstraum in Berlin engagiert und danach acht Jahre in einer Gemeinde in Brandenburg gelebt. Während dieser Zeit wurde er zu einem selbsternannten "Aussteiger", der Bürokratie nicht mag und frei von allem sein möchte.

Er meint: "Ich bin 54 Jahre alt, mache jeden Tag Yoga, bin gesund und habe bisher keine Krankheiten. Seit sieben Jahren bin ich nicht krankenversichert. Ich beziehe keine Sozialhilfe, ich gehe nicht zum Jobcenter oder Finanzamt, ich brauche weder eine Versicherung noch eine Rente. Ich habe keinen Stress und bin glücklich mit meiner Freiheit. Ich will nichts mehr mit dem Staat oder System zu tun haben."
Seit 2019 lebt Bruno dann in Leipzig. "Es war sehr aufregend, wie Berlin in den 90ern, mit so vielen Hausprojekten. Aber 2021 hat die Corona alles zugemacht und alles wurde langweilig“, sagt er. Der Coronavirus hat natürlich einen Schatten auf den Leipziger Osten geworfen. Bruno hatte Bammel vor den Toren der Freiräume, die so lange verschlossen blieben.
"Meine Großmutter kommt aus Madagaskar, dort gibt es keinen Strom, kein Internet, natürlich auch keine Instrumente und keinen Platz, sie zu spielen. Wenn die Miete für den Freiraum in Leipzig 500 Euro pro Monat beträgt, sind das 3000 Euro in den sechs Monaten. Der Durchschnittslohn in Madagaskar liegt bei etwa 50 Euro im Monat, mit 3000 Euro könnte man also jahrelang leben. Ich hasste wirklich diese Situation, in der man keine Veranstaltungen macht und nur noch die Miete zahlen musst".

Da er das Leben und die Politik in Europa immer mehr genervt hat, möchte er eines Tages in Madagaskar umziehen. Aber in Gegensatz dazu, hört Bruno nie auf, sich in der Kultur der Stadt zu engagieren.
Er meint: "Früher habe ich im Hinterhof der Wohnung, in der ich jetzt wohne, oft Lagerfeuer gemacht. Eines Tages hat mich ein junger Mann am Lagerfeuer gefragt: 'Darf ich dieses Holz ins Feuer legen?’ Das muss man doch nicht fragen. Warum siehst du zu, wie das Feuer vor dir erlischt, und tust nichts dagegen? Das Licht der Kultur wird auch erlöschen, wenn du so passiv bist. So kann man keine Revolution in der Welt beginnen."